Nacht auf dem Gletscher

10. August

Pause mit Blick auf den Akkemsee

Wir packen früh unsere Ausrüstung zusammen, auch drei unserer Zelte. Wir wollen so weit wie möglich auf der von der Nordseite üblichen Route Richtung Belucha vordringen, zumindest Lager I errichten und dort übernachten. Mehr ist, das müssen wir uns ehrlicherweise eingestehen, aus Zeitgründen nicht möglich. Bereits für den übernächsten Tag ist der Abstieg im Akkemtal Richtung Katun geplant, da wir kein Risiko eingehen wollen und sowohl für den Fußmarsch als auch für die hoffentlich kurzfristig mögliche Fahrt nach Gorno-Altaisk mehrere Tage einkalkulieren müssen.

Trotzdem packen wir die insgesamt bescheidene Bergausrüstung, die wir nun einmal bis hierher geschleppt haben, in die Rucksäcke und gehen talaufwärts - zunächst auf dem uns bereits bekannten Weg am Akkemsee entlang und im Geröll Richtung Gletscher.

Wir sind sieben Leute zu dieser Zeit - unser Doc will im Basislager am Akkemsee bleiben.
Später erfahren wir, daß genau jenes Datum in seinem Leben große Bedeutung hat - so machte er stattdessen einen Ausflug ins "Edelweißtal", welches inmitten vieler Gebirgsblumen Stunden der Besinnung versprach.

Das Wetter verschlechtert sich

Christian senior dagegen marschiert mit uns los mit dem Vorsatz, nachmittags umzukehren, um abends wieder im Camp am Akkemsee zu sein.
Ein Maler, den wir treffen, warnt uns vor schlechtem Wetter und Regen, die sich offenbar ankündigen. Tatsächlich wird es zunehmend dunkler und die Wolken ziehen immer tiefer über unseren Köpfen hinweg. Ein Gewitter droht - wir sind inzwischen auf einem Geröllfeld auf der linken Talseite etwa in Höhe des Gletschertores.
Blitz und Donner sind dann recht plötzlich über uns. Schnell spannen wir die Plane neben einem großen Stein auf, kriechen mit unseren Rucksäcken darunter und versuchen, halbwegs trocken zu bleiben. Aber der Regen zieht nicht so schnell wieder ab, so machen wir es uns unter der Plane etwas gemütlicher. Ein Kocher wird ausgepackt und heißer Tee bereitet.
Als der Regen etwas nachläßt, entschließt sich Christian senior zur Umkehr. Wir klettern inzwischen über das Geröll hinunter zum Gletschertor und probieren an den viele Meter hohen Eisbrocken unsere Eisbeile und -pickel aus.

Gletschertor

Unentschlossen, ob es Sinn hat noch weiterzugehen, fangen wir an diesem Platz an, unsere Zelte auszupacken und aufzubauen. Doch schon wenig später scheint sich das Wetter wieder beruhigt zu haben; eine Gruppe einheimischer Bergfreunde kommt vorbei und ermuntert uns, den Tag zu nutzen und auf dem Weg Richtung Belucha weiter voranzukommen.
Wir diskutieren eine Weile, ob wir nun doch noch ein Stück weitergehen. Almut ist dagegen, Christian und Tobias wollen eigentlich auch nicht weiter. Letztendlich packen wir dann doch die Zelte wieder ein, schultern die Rucksäcke und marschieren am Rande des Gletschers weiter aufwärts. Es ist inzwischen nach 16 Uhr.

Nach etwa einer Stunde sind wir parallel zum Gletscher soweit aufgestiegen, daß wir jede Vegetation hinter uns gelassen haben und nur noch über Geröll steigen. Es ist noch hell, aber kalter Wind bläst und drückt die Wolken soweit ins Tal, daß wir den Berghang auf der anderen Gletscherseite nicht mehr sehen können.
Die Mehrheit beschließt, hier nun das Nachtlager aufzuschlagen.

Mit viel Mühe ebnen wir drei kleine Flächen auf dem Schotter für unsere Zelte. Uns bleibt unklar, wie weit wir uns auf der Seitenmoräne des Gletschers befinden, da auch das Eis selbst teilweise mit Geröll bedeckt ist.

Die Plane haben wir nun einmal mitgeschleppt, so spannen wir sie zwischen den Zelten auf und kochen darunter die Suppe für's Abendbrot.

Zeltstelle neben dem Gletscher

Nachts wird der Wind stärker und entwickelt sich zum Sturm. Auch ein Gewitter kommt wieder dazu, das sich offenbar im Talkessel festsetzt.
Die aufgespannte Plane wird in dieser Nacht völlig zerfetzt; unsere Aufmerksamkeit gilt aber besonders den Zelten, die - obwohl es nur kleine Bergzelte sind - durch den Wind gehörig gebeutelt und bis an ihre Grenzen belastet werden.
Die Zelte stehen unterschiedlich günstig - Jörgs Zelt bietet dem Wind soviel Angriffsfläche, daß er nachts zweimal aufstehen und das Zelt neu aufbauen muß.

11. August
Expedition am Fuß der Belucha

An ruhiges Schlafen ist im Heulen des Sturms nicht zu denken, etwa ab 4:00 Uhr sind wir endgültig munter. Stärkerer Regen wechselt sich mit Niesel ab. Nach einiger Zeit haben wir uns alle aus den Schlafsäcken gequält. Es ist so kalt, naß und windig, daß wir auf's Frühstück völlig verzichten und anfangen zu packen, um so schnell wie möglich aus diesem Talkessel wieder herauszukommen.

Uns ist klar, daß die Zeit ausgereizt ist und wir uns nun auf den Rückweg begeben müssen. Ich suche einen günstigen Stein, um den Fotoapparat so hinzustellen, daß er nicht weggeblasen wird und mache mit dem Selbstauslöser das Endpunkt-Bild.
Wir schreiben das Jahr 1989 und können zu diesem Zeitpunkt nicht davon ausgehen, daß es eine baldige Möglichkeit gibt, hierher in die Gebirgswelt Asiens zurückzukehren.
Später einmal wird es uns trösten zu erfahren, daß auch Reinhold Messner an der Belucha wegen schlechten Wetters umkehren mußte.

Der Weg bergab führt uns zügig hinaus aus den tiefhängenden Wolken und bald kommt sogar die Sonne zum Vorschein. Die nächste Rast nutzen wir, um Sachen und Ausrüstung auf Steinen zum Trocknen zu legen.

Wieder angekommen im Basislager am Akkemsee können wir unsere Zelte an der alten Stelle aufbauen, dann wird erstmal ausgiebig gekocht und gegessen. Auch die Sauna können wir noch einmal nutzen, zwischendurch gibt es heißen Kaffee.

Akkemsee und Blick zum Belucha-Kamm
Jörg hofft, hier noch jemanden zu finden, der ein Eisbeil für das Kletterseil hergibt, welches wir nun ungenutzt bis hierher mitgenommen haben. Kletterseile sind zuhause mit einigen Anstrengungen zu bekommen - alpinistische Ausrüstung wie Eisschrauben und Eisbeile dagegen muß man aus dem Ausland mitbringen oder selber bauen...
Aber die russischen Sportfreunde vertrauen lieber auf tschechische Seile - und so bekommt Jörg ein Eisbeil einfach als Präsent geschenkt.

Auch ein Brot bekommen wir noch mit auf den Weg. Trotzdem, beim Sichten und Verteilen unserer Lebensmittelvorräte stellen wir fest, daß es knapp wird, sollten wir auch für den Rückweg mehrere Tage brauchen.
Klaus sortiert inzwischen seine Medizin-Vorräte und übergibt einige nützliche Medikamente an die KCC-Besatzung - anderenfalls würden Krankheiten wie Lungenentzündung hier im Wesentlichen mit Wodka behandelt.

Der Akkemsee in 2057m Höhe ist einer von 1274 Seen im Altai, die durch Quellen und Schmelzwasser gespeist werden. Nicht nur als Ausgangspunkt für Bergtouren bietet sich dieser Ort an, auch eine meteorologische Station befindet sich hier nördlich des Hauptkammes des Gebirges am Ufer des Sees.
Das Klima im Altai ist Kontinentalklima, warme und regnerische Sommer wechseln sich mit kalten Wintern ab. Wie so oft haben aber Hochgebirgsregionen ihr eigenes Wetter. In den Bergen gibt es hier immer viel Schnee, die tiefste Temperatur wurde 1997 mit -62°C gemessen.
Nur noch vereinzelte Bäume stehen hier am Akkemsee; normalerweise liegt die Baumgrenze bei 1800-1900 m.

Nun heißt es also Abschied nehmen, einen letzten gemütlichen Abend verbringen wir bei unseren Zelten am Akkemsee, in dem sich schneebedeckte Gipfel des Altaigebirges spiegeln.


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