Zum Bronja-Sattel

7. August

Wie vereinbart ist heute Ruhetag. Wir schlafen aus, zum Frühstück gibt es Kaffee und Kaltschale.

Noch einmal versuchen wir, unsere Chancen für eine Bergbesteigung realistisch abzuschätzen:
Der Aufstieg auf die Belucha von Süden ist schwerer als von Norden, ist mit dem Grad 3B der dortigen Skala angegeben. Zunächst ist ein Marsch über die gesamte Länge des Gletschers erforderlich, oberhalb davon führt eine recht steile und lange Eiswand auf den Grat, über den man die beiden Gipfel (Westgipfel 4400m, Ostgipfel 4506m) erreicht.

Im Zelt des KCC

Bei optimalen Verhältnissen braucht man, wie wir inzwischen im Zelt der Bergwacht beim Tee erfahren hatten, insgesamt 5 Tage für die Tour. Die Eiswand ist nur mit entsprechender Ausrüstung bezwingbar: Eispickel, Helme, Seile, jede Menge Eisschrauben ...
Wir hatten lediglich eine Minimalausrüstung dabei: Steigeisen, zwei Eispickel und ein 7mm-Kernmantelseil - eigentlich als Kletter- und Sicherungsseil zu dünn und ungeeignet. Vor allem aber: Da wir uns auf einen Rückflug per Hubschrauber nicht verlassen konnten, mußten wir die Zeit für einem Rückmarsch zu Fuß und eine mehrtägige Busfahrt nach Gorno-Altaisk einplanen - damit war klar, daß wir in 5 Tagen bereits wieder auf dem Rückweg sein würden und an einen Gipfelversuch nicht zu denken war.

Zunächst jedoch entdecken wir, daß auf dem locker bewaldeten Hang oberhalb des Zeltplatzes jede Menge Pilze stehen.
Bereits in den letzten Tagen auf dem Marsch durch den Wald hatte ich, um mich abzulenken, angestrengt rechts und links des Weges nach Pilzen Ausschau gehalten, aber der Erfolg war bescheiden; nur einige wenige Pilzstückchen verfeinerten die abendlichen Suppen.
Heute jedoch waren wir erfolgreicher: Mittags gibt es Pilzsuppe mit Wurst-Einlage.

Nachmittags sitzen wir im Zelt des KCC und diskutieren unsere Möglichkeiten. Abgesehen von der nicht ausreichenden Zeit wäre es auch nicht möglich, uns die restliche Ausrüstung zusammenzuborgen - zuviel Material fehlt uns für einen ernsthaften Gipfelversuch.
Stattdessen hören wir uns von der inzwischen mehrheitlich betrunkenen Mannschaft weitere Vorschläge für kleinere Touren in der Umgebung an. Rechts oberhalb des Akkem-Sees beispielsweise ragt ein angeblich leichterer und in einer Tagestour zu bezwingender Gipfel auf, den wir uns vormerken.
Die Abendessen-Vorbereitung im Bergwacht-Zelt bekommen wir nun unbeabsichtigt auch mit: Der ebenfalls stark angetrunkene Mannschaftsarzt versucht, für die Fleischsuppe ein Vieh kleinzuschnippeln, erwischt dabei jedoch unter anderem den eigenen Finger, verteilt Blutlachen im ganzen Zelt und muß von unserem Doc notbehandelt und verbunden werden ...

Blick ins Akkemtal
und zur Belucha

Der Alkoholkonsum der Mannschaft, die den ganzen Sommer hier oben in den Bergen verbringt, scheint gewaltig zu sein. Besonders fällt uns ein junger, muskulöser Bursche auf, der bereits vormittags stark angetrunken und geistig abwesend ist. Auf vorsichtige Nachfrage hin bekommen wir von seinen Kameraden nur den Hinweis: "Fragt nicht. Er ist aus Afghanistan zurückgekommen."

Am späten Nachmittag steigen wir nochmal zu fünft den Berg hinterm Zeltplatz hinauf. Die Wolken, aus denen zwischenzeitlich einige Tropfen fielen, hatten sich wieder weitgehend verzogen und wir genießen die Aussicht ins Akkemtal, auf den Gletscher und auf die Bergkette der Belucha.
Auch später, wieder im Lager, können wir nicht davon lassen, die gewaltigen Fels- und Schneewände des Berges durch ein Fernglas zu betrachten, welches wir von tschechischen Alpinisten ausleihen.

Eingetauschte Lebensmittel

Angesichts unserer knapper werdenden Vorräte beschließen wir, die Möglichkeiten des Erwerbs von Nahrungsmitteln im Lager zu erkunden. Letztendlich schließen wir ein Tauschgeschäft ab: Für eine Salami, die wir noch in Reserve hatten, bekommen wir 4 Kastenbrote und je eine große Tüte Hirse, Trockenobst, Nudeln und Zucker. Damit, so hoffen wir, ist die Verpflegung für die nächste Zeit gesichert.

Für den kommenden Tag nehmen wir uns eine Eintages-Tour in Richtung des Gipfels "Bronja" vor, welcher als markante Spitze talaufwärts auf der rechten Seite des Gletschers aufragt.




8. August

Am Akkem
unterhalb des Gletschers

Kurz nach 7 Uhr ist für uns die Nacht zu Ende. Außer Christian senior, der sich erholen und außerdem die Möglichkeit eines eventuellen Rückfluges erkunden will, brechen wir gegen 9 Uhr auf.

Pause vorm Gletscher

Zunächst geht es auf der rechten Seite des Sees entlang, dann am Fluß, der seinen Ursprung im Gletscher nicht weit vor uns hat. Kurz vor dem Gletschertor halten wir uns aber nach einer ersten Pause rechtsansteigend in Richtung des Sattels auf dem Grat über uns. Der Pfad und auch der zuletzt nur noch spärliche Bewuchs sind inzwischen verschwunden und unser Weg führt uns jetzt lange Zeit nur noch über Geröll steil bergan.

Und wie das im Gebirge häufig passiert, werden wir immer wieder in der Hoffnung getäuscht, die nächste über uns sichtbare Kante könnte endlich die höchste Stelle, der Sattel sein.
Wir stapfen durch die ersten Schneefelder und haben kurz darauf einen grandiosen Blick auf den Akkem-Gletscher und die Belucha.

Die Belucha ist eigentlich ein ganzer Gebirgskamm, aus dem zwei markante Gipfel herausragen: der Westgipfel (4400m) und der Ostgipfel (4506m). Der Belucha-Ostgipfel bildet die höchste Erhebung des Altai-Gebirges. 70 km2 Gletscher umgeben dieses Massiv, der längste davon ist der Große Berel-Gletscher, der bis auf 1950m hinunterreicht.
Der Sattel zwischen diesen beiden Peaks ist ein riesiges Schneefeld, das Richtung Süden in große Eisfälle übergeht, dort haben Katun-Gletscher und der Große Berel-Gletscher ihren Ursprung. Auf der Nordseite fällt das Massiv mit einer 1000m hohen Felswand steil in den Akkem-Talkessel ab; der Akkem-Gletscher selbst schiebt sich von der Ostseite in diesen Kessel hinein.

Aufstieg durch Geröll und Schnee Akkem-Gletscher und Belucha

Die Normalroute auf den Gipfel von der Südseite aus führt vom Ausgangspunkt in Kasachstan am Jasew-See bzw. von Rachmanowskije Kljutschi zunächst auf unbefestigter Straße ca. 20km durch den Wald im Tal der weißen Berrel aufwärts und dann in einem Tagesmarsch über einen Paß ins Katun-Tal und zur Moräne des Katun-Gletschers (1.Lager). Die weitere Route führt ähnlich dem Aufstieg zum Elbrus in Richtung des Sattels zwischen Ost- und Westgipfel hinauf, allerdings ist der Weg steiler und mit mehr Gletscherspalten durchzogen als am Elbrus und ist ohne Seil, Eisschrauben, Steigeisen und Eisbeil nicht begehbar.
Auf dem Katun-Gletscher hält man sich östlich und umgeht so einen Bergrücken und den großen Eisfall, je nach Jahreszeit sind aber trotzdem kleinere Eiskletter-Passagen zu überwinden. Entlang des Bergrückens gelangt man auf das Schneefeld und hält sich in Richtung des Sattels zwischen den beiden Gipfeln auf über 4000m Höhe (2.Lager).
Auf den Ostgipfel gelangt man von der Mitte des Schneeplateaus, also nicht vom höheren Teil des Sattels aus, indem man sich direkt östlich hält, die Schwierigkeit dieses Weges ist mit 2B angegeben.
Der Westgipfel ist von oberen Teil des Sattels über einen Schneehang und einen kleinen Bergrücken zu erreichen, hier sind Steigeisen erforderlich und die Schwierigkeit ist mit 3A eingestuft.

Die Routen auf die Belucha von Norden ausgehend, also vom Akkemsee, sind dagegen schwieriger; durch die Steilwand führt ein Weg der Schwierigkeit 5A, und auch die leichteste Route von Norden her in großem Bogen über den Akkemgletscher und dann durch Steileis zunächst auf den Grat nordöstlich des Ostgipfels ist mit 3B angegeben.


Karte
Sowjetunion
Karte
Westsibirien
Karte
Altai