China 1993: Von Peking in den Tienschan


In den Bergen

Aufbruch: Über den Himmelssee-Zufluß

Am Samstag morgen blickten wir gegen 9:00 Uhr aus der Jurte: es hatte aufgehört zu regnen, allerdings zogen immer noch dichte Nebelschwaden über den See.
Kurz nach 11 Uhr brachen wir auf - in den Nebel und ins Ungewisse.

Bereits der Weg am See entlang bereitete unerwartete Schwierigkeiten - langsam verlor sich der ausgetretene Pfad und wir mußten mit schweren Rucksäcken einen rutschigen Hang erklimmen, um dem Steilufer auszuweichen. Schließlich erblickten wir einzelne Gebäude an der Südspitze des Himmelssees. Obwohl ein Schild auf ein Restaurant hinwies, wirkte alles verlassen. Nach kurzer Suche fanden wir einen Bewohner, der tatsächlich von unserer Benzinflasche wußte, diese aus einem Regal holte und im Hinterhof unter unseren ungläubigen Blicken mit Benzin befüllte. Damit konnten wir nun einige Tage auf uns allein gestellt auskommen - genug Suppen und andere Vorräte hatten wir mit.

Erstmal tasten wir uns im dichten Nebel am Fluß entlang. Unsere einzige Karte ist ein Faltblatt mit einer sehr groben Skizze; wir wissen nicht so recht, ob wir auf dieser Flußseite wirklich auf dem richtigen Weg sind.
Gegen 13:30 Uhr machen wir Pause und probieren den Kocher aus, die Suppe ist endlich etwas Vertrautes und möbelt uns auf. Außerdem kommt jetzt die Sonne zum Vorschein.
Nach einer Weggabelung geht es steiler bergan, wir merken das fehlende Training der letzten Tage und Wochen. So ist uns eine verlassene Hirten-Raststelle, die wir am späten Nachmitteg finden, willkommene Gelegenheit, unseren Weg zu unterbrechen und das Zelt aufzubauen.

Camping oberhalb des Himmelssees Blick Richtung Bogda-Feng-Massiv

Wir sind bereits deutlich über der Baumgrenze und haben eine herrliche Aussicht zurück auf den Himmelssee und auch talaufwärts auf die Bergkette des Bogda-Feng-Massivs. Die letzten Tagestouristen, die per Führer und Pferd in diese Höhe vorgedrungen sind, treten eilig den Heimweg an. Danach wird es ruhig. Die untergehende Sonne beschert uns ein "Tienschan-Glühen". Langsam kriecht die Kälte in uns. Wir richten die Feuerstelle notdürftig wieder her und wärmen uns an einem kleinen Lagerfeuer. Eine angereicherte Tüten-Nudelsuppe macht uns satt und zufrieden.
Nachts wird es richtig kalt; am nächsten Morgen werden wir anhand unserer Wasserflaschen feststellen, daß es Frost gab. Die bisher so warmen Nächte in China haben uns entwöhnt: Angelika friert die ganze Nacht, ich habe zumindest kalte Füße.

Am nächsten Morgen, es ist Sonntag, lassen wir uns Zeit, bis die Sonne das Zelt durchgewärmt hat. Es ist fast Mittag, als wir aufbrechen. Wir kommen stetig voran, aber unser Tempo ist recht langsam. Bald haben wir die letzten Bäume endgültig hinter uns gelassen, der steinige Weg führt gleichmäßig ansteigend durch geröllübersätes, nur wenig bewachsenes Gebirgsland. Überall entdecken wir Edelweiß.

Im Bogda-Feng-Massiv:
Zeltplatz unterhalb der "Snow-Line"
Wir besitzen ein einfaches Faltblatt, auf dem einige gestrichelte Linien und einige Bäche eingezeichnet sind, dazu chinesische Bezeichnungen. Demzufolge müßte man unterhalb des Bogda Feng über einen Paß unbekannter Höhe ins Nachbartal und abwärts wieder zum Himmelssee gelangen.
Der Paß kommt näher; am späten Nachmittag mache ich einen Abstecher ohne Gepäck, befinde aber, daß eine Überschreitung am heutigen Tag nicht mehr machbar ist. Also suchen wir uns eine Senke oberhalb des Weges, befestigen eine kleine Mulde hinter einem Felsbrocken mit zusätzlichen Steinen, und haben damit ausreichenden Windschutz für Zelt und Kocher.

Am Abend und in der Nacht geht es mir zunehmend schlechter, Durchfall, Übelkeit und Kopfschmerzen prägen von nun an das Dasein. Überanstrengung, Infekt oder Höhenkrankheit ?
Ich bin mir nicht sicher, vielleicht kommt auch alles zusammen. Wir sind immerhin nach vielen Tagen ohne Anstrengung von Null auf 2000m Höhe mit dem Bus gefahren und haben dann erstmals während dieser Reise einen schweren Rucksack aufgesetzt. Diesen haben wir inzwischen bis auf etwa 3500m (vielleicht sind es auch 4000m ?) getragen.
Früh sind unsere Wasserflaschen fast durchgefroren. Ich habe keinerlei Appetit; Kopfschmerzen plagen mich. Gegen Mittag brechen wir ohne Gepäck auf zur "Snow-line", also den letzten Ausläufern des Gletschers. Erschöpfung und wahrscheinlich auch Fieber machten mich dermaßen kraftlos, daß ich den Rückweg kaum noch allein bewältige. Den Rest des Tages und die kommende Nacht verbringe ich zwischen Schlafsack und einem in der Nähe liegenden Steinhaufen, der "Dünnpfiff-Grube".

Rückweg Richtung Himmelssee
Der Krach der Dohlen weckt uns am nächsten Morgen bereits zeitig. Ich habe zwar immer noch keinen Appetit, fühle mich aber wieder in der Lage, mit etwas Gepäck den Rückweg anzutreten. Eine andere Alternative bot sich aus Zeitgründen sowieso nicht; am übernächsten Tag erwartete uns bereits der Bus zur Rückfahrt nach Urumqi.
Wir kommen beim Abstieg an unserer alten Übernachtungsstelle vorbei, kurz darauf ist die Kraft aber alle. Angelika hat außerdem inzwischen mächtige Blasen an den Füßen. Kurz unterhalb der Baumgrenze suchen wir uns deshalb einen halbwegs günstigen Zeltplatz.
Am Abend beginnt es zu regnen, später geht der Regen in Schnee über. Unser "Fichtelberg" bleibt aber dicht.

Früh blieb es lange kalt und feucht, wir befanden uns in einem relativ tiefen Taleinschnitt. Unter einigen Steinen fanden sich trockene Äste, und so machten wir erstmal ein kleines Lagerfeuer zum Aufwärmen. Ich nehme erstmals seit einiger Zeit wieder eine Suppe zu mir. Sehr spät erscheint die Sonne über dem Bergkamm und trocknet das Zelt. Trotz des späten Aufbruchs und noch nicht ausgestandener Fuß-Blasen-Probleme erreichen wir bereits am späten Nachmittag wieder den Himmelssee und unsere Jurte. Endlich wieder Brot essen und die kommende Nacht ohne zu frieren zu verbringen erscheint uns schon richtig zivilisiert. Da stört es auch nicht, daß die junge Katze des Jurten-Hausherrn ausgerechnet an und unter meiner Isomatte schlafen will.

Der nächste Tag ist Donnerstag, der 9. September. Um 11 Uhr ging unser Bus für 15 Yuan pro Person zurück nach Urumqi, der Fahrer fuhr zügig die steilen Serpentinen herunter. Ein einheimischer Fahrgast begann ausdauernd aus dem Fenster zu kotzen, zum Glück saß er nicht direkt vor uns. Wieder im Hongshan-Hotel eingetroffen, kamen wir gerade recht zu den chinesischen Fernseh-Nachrichten, in denen von Kindergartenkindern mit Stahlhelm und Handgranaten (aber ohne Hosen) beim erfolgreichen Kriegsmanöver berichtet wurde. Das heiße Vollbad an diesem Abend war aber ein lang ersehnter Genuß.







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